Die Haltung, die Schulen an den Tag legen ist, dass Vielfalt mehr Arbeit bedeutet und umständlich ist. Das ist das Problem!
Beate Seusing – MigrantenElternNetzwerk
Die in Hildesheim veranstaltete Tagung Bildungsteilhabe stärken – Schule diversitätsorientiert und diskriminierungskritisch gestalten hat sich mit diskriminierungskritischen Fragen in der Schulentwicklung beschäftig. Wie kann es gelingen, der zunehmend vielfältigen Zusammensetzung in Klassenzimmern gerecht zu werden? In einem Fachaustausch wurden Aspekte aus wissenschaftlicher, zivilgesellschaftlicher und schulinterner Sicht diskutiert.
Wissenschaftliche Inputs
Dabei seien alle bildungspolitischen Ebenen in Betracht zu ziehen, erläuterte Prof. Marc Partetzke (Universität Hildesheim) beim ersten wissenschaftlichen Input der Tagung und ging auf Rahmenbedingungen und Strukturen, auf pädagogische Ansätze und letztlich auch Haltungen ein. „Wir sind auch selber Lernende“ sagte er und warf die Frage auf: „Brauchen wir nicht eine aktive Teilhabestruktur in der Schule?“
Prof. Dr. Viola B. Georgi – Professorin für Diversity Education und Direktorin vom Zentrum für Bildungsintegration (ZBI) sagte in ihrem Beitrag glasklar, dass in den allermeisten Köpfen ein romantisierendes Bild von „Vielfalt“ vorherrsche. Rufe man diesen Begriff im Internet auf, erscheinen farbenfrohe Hände, bunte Herzchen und Kinder, rings um den Globus aufgestellt. „Nicht gezeigt werden in den Bildern [jedoch] Diskriminierungspraktiken, Konflikte und Kämpfe um Anerkennung von Gleichheit“. Georgi kommt zu dem Schluss, dass zum einen Theorieentwicklung und bildungspolitische Rahmungen zwar weit entwickelt sind, zum anderen aber diese Erkenntnisse sich nicht entsprechend in der Lehrer*innenbildung, Schul- und Unterrichtspraxis widerspiegeln – das Problem also in der in der Umsetzung liege!
Podium / Fachaustausch zwischen zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Akteur*innen
Um aufzuzeigen, wie und wer sich dafür einsetzt, diese Schieflage aufzufangen, wurden drei zivilgesellschaftliche Akteur*innen als Best Practice Beispiele eingeladen, ihre Arbeit auf dem Podium vorzustellen und Stellung zum Thema zu beziehen.
amfn e.V. wurde von Beate Seusing vertreten. Sie berichtete über das landesweite Netzwerk von Eltern mit Migrationsbiografie (MEN). Diese werden gezielt zusammengeführt und über Bildungsfragen informiert. Auch in ihren Entscheidungskompetenzen werden sie gestärkt ebenso darin, sich bei Elternvertretungen einzubringen. Das MigrantenElternNetzwerk Niedersachsen vertritt die Interessen dieser Eltern weiterhin auch auf politischer Ebene in der Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe. Seusing berichtete, dass sich viele Eltern über Rassismuserfahrungen beklagen. Sie erleben Ausgrenzung und ein Gefühl der Ohnmacht.
„Die Haltung, die Schulen an den Tag legen ist, dass Vielfalt mehr Arbeit bedeutet und umständlich ist. Das ist das Problem. Hier ist die Politik gefragt!“ fuhr Beate Seusing fort. Dazu hat amfn e.V. vor der letzten Landtagswahl einen Forderungskatalog herausgebracht, der auf Umsetzung wartet.
Aliyeh Yegane Arani (Bereichsleiterin für Diskriminierungsschutz & Diversität von LIFE e.V.) äußerte sich kritisch zu den Beschwerdestrukturen in Schulen. Die Hälfte der Meldungen von Diskriminierungsfällen kämen von den Eltern, die andere Hälfte von Schüler*innen selbst oder über dritte externe Träger. Fallmeldungen aus schulinternen Reihen blieben gänzlich aus. Grund dafür könne nur sein, dass Schulinterna nach außen preiszugeben ein No-Go sei.
„So sind wir „nur“ eine Feuerwehr“, fuhr Yegane fort. „Wir entlasten Betroffene, indem wir zuhören, sie über ihre Rechte informieren und uns um die emotionale Ebene kümmern. Und wenn Berlin schon ein Antidiskriminierungsgesetz hat, müssen wir dringend auch eine Antidiskriminierungsarchitektur aufbauen, auch außerhalb des Systems Schule. Das ist ein wichtiger Aspekt für die Akzeptanz vonseiten der Betroffenen.“
Ebenfalls auf dem Podium vertreten war die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. (DeGeDe), die daran arbeitet, diskriminierungskritische Haltung als Teil demokratischer Schulstruktur zu etablieren. Das bedeute, dass alle – von der Schülerschaft über die Lehrkräfte, Schulleitung bis hin zur Hausmeisterei an Aushandlungsprozessen, also bei der Konsensfindung in der Schule beteiligt werden. Dazu müssen Strukturen und Raum geschaffen werden. Es ginge letztlich um Transparenz bei Entscheidungsvorgängen, um Information und Rückmeldung, was auf eine Öffnung der Haltung in pädagogischen Beziehung abzielt.
Fazit
Die zivilgesellschaftlichen Best Practice Beispiele zeigen auf, dass eine starke Zivilgesellschaft bereitsteht und für Aufgaben einspringt, die zwar staatlicherseits erfüllt werden müssten, aber nicht umgesetzt werden. Dabei geht es darum, ein Mehraufkommen an Arbeit aufzufangen, dass der demografische Wandel hervorbringt und sich letztlich auf der Bildungsebene widerspiegelt.
Mehrarbeit braucht auch mehr Ressourcen (Zeit + Raum + Personal). Hierbei geht es explizit um externe Beratungsstellen, denn diese sind es, die eine strategische Prozessführung voranbringen – was staatliche Stellen nicht tun. Folglich brauchen NGOs Geld vom Staat. Denn schulinterne Beschwerdestellen sind aufgrund kollegialer Verwebungen problematisch. Und Entwicklungsprozesse brauchen einen langen Atem. Das zeigt die Beratungsstelle in Berlin, die schon seit sieben Jahren an dem Thema arbeitet.