Offener Brief zu Ihren „Analysen“ zum Bildungsbericht 2024

Sehr geehrter Herr Düll,

mit Entsetzen haben wir Ihre Einschätzungen zu den Ursachen der Probleme im Bildungssystem zur Kenntnis genommen. Sie schreiben: „Wir müssen uns ehrlich der Frage stellen, wie ein vom Grundsatz her gut funktionierendes System die in kurzer Folge auftretenden Herausforderungen personell, materiell und ideell bewältigen will. Seit Jahren müssen zunehmend mehr Lernenden in den Schulbetrieb integriert werden, die kein Deutsch sprechen und aus Familien und Kulturen mit gänzlich anderen Bildungstraditionen kommen.“ Ihren Ausführungen zufolge ist die Migration nach Deutschland das Hauptproblem für das Schulsystem und die insgesamt immer schlechter werdenden Bildungsergebnisse der Schüler*innen und weiterhin wäre kein Ende des Zuzugs absehbar.

Wir lehnen Ihre inakzeptable Schuldzuschreibung an zugewanderte Kinder und ihre Familien sowie die damit verbundene Diskriminierung entschieden ab. Als Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen (amfn e.V.) setzen wir uns mit dem MigrantenElternNetzwerk Niedersachsen seit über 13 Jahren für mehr Chancengerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe ein. Wir tragen dazu bei, dass Eltern mit Migrationsgeschichte in Niedersachsen verlässliche Informationen zur Bildung, zum Bildungssystem und zu Bildungsentscheidungen erhalten, damit sie ihre Kinder auf deren Bildungsweg kompetent und sicher begleiten können. Mit unseren Maßnahmen erreichten wir 2023 bspw. mehr als 10.000 Eltern. Wir machen jeden Tag die Erfahrung, dass die zugewanderten Eltern diese Angebote sehr gern in Anspruch nehmen, um sich in diesem für sie neuen System zurecht zu finden und ihre Kinder in Bildungsinstitutionen informiert unterstützen zu können, denn fast alle Eltern jeglicher Herkunft wünschen sich die bestmögliche Bildung für ihre Kinder.

Statt mit Ihren Schuldzuweisungen von den systemischen Mängeln, die sicherlich auch Ihnen bekannt sein dürften, abzulenken, plädieren wir dafür, die tatsächlich viel drängenderen Probleme des Bildungssystems – das auch vom Grundsatz her nicht gut funktioniert – anzugehen:

  • Bildungsinstitutionen personell und finanziell besser ausstatten
  • Wirksame Maßnahmen gegen den akuten Lehrkräftemangel ergreifen
  • Aufstockung der Lehrkräfte, die Deutsch als Zweit- und Bildungssprache unterrichten
  • Sicherstellung der Unterrichtsversorgung
  • Einsatz innovativer Lernmethoden und Herstellung einer wertschätzenden Lernumgebung
  • Migrationsgesellschaftliche Kompetenzen als verpflichtendes Element der Lehrkräfteaus- und -fortbildung implementieren

Wir fordern Sie auf, Ihre diskriminierenden und polemischen Äußerungen zurückzunehmen. Zudem ist es nicht das erste Mal, dass Sie zugewanderten Menschen die Schuld an gesamtgesellschaftlichen Problemen zuweisen (vgl. NOZ 25.01.2024). Diese Äußerungen sind populistisch und tragen zur Spaltung unserer pluralen Gesellschaft bei. So hat sich die Junge Freiheit, das Sprachrohr der Neuen Rechten sich bereits mehrfach auf Ihre Aussagen bezogen.

Es ist Fakt, dass migrationsbedingte Diversität ein Teil dieser Gesellschaft ist und bleiben wird. In Schulen ist sie längst Normalität (ca. 40% Anteil von Schüler*innen mit Migrationsgeschichte). Der Bildungserfolg dieser Kinder ist entscheidend für eine bessere Zukunft in diesem und für dieses Land. Dafür müssen wir alle Menschen als gleichwertige Teile unserer aller Gesellschaft sehen und ihnen in Bildungsinstitutionen die bestmögliche Bildung zukommen lassen. Dafür brauchen wir – und hier stimmen wir mit Ihnen überein – als Lehrkräfte die Besten, nämlich engagierte und erstklassig ausgebildete Menschen.

Mit freundlichen Grüßen,

Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen e.V.

und das MigrantenElternNetzwerk Niedersachsen

 

Hier finden Sie den Brief als .pdf