Hier finden Sie nun die Dokumentation unserer Landesweiten Konferenz zum Thema „Rechtsruck in Deutschland – Strategien für eine pluralistische, demokratische Gesellschaft“ die am 10. November 2018 in Hannover stattgefunden hat.

Hier können Sie die Dokumentation als .pdf herunterladen.

Textdokumentation der Vorträge

Rassismus hat in den letzten Jahren eine beängstigende Dimension in Europa und in Deutschland eingenommen! „Rassistische und antisemitische Hetze im öffentlichen Raum, im Internet und in den sozialen Medien ebenso wie rassistische Gewalttaten haben massiv zugenommen“ stellte das Deutsche Institut für Menschenrechte fest.

In Deutschland war die aktuelle Flüchtlingsbewegung in der Welt und insbesondere ab 2015 mit der Zunahme der Flüchtlingszahlen, ein willkommener Anlass für die vorhandenen rassistischen und antise-mitischen Potenziale, aus der Deckung herauszukommen. Inzwischen sitzen auch in den kommunalen Vertretungen, in den Landtagen und sogar im Deutschen Bundestag Vertreterinnen und Vertreter der ras-sistischen und menschenfeindlichen Parteien. Das Phänomen Ras-sismus und Fremdenfeindlichkeit ist nicht mehr, wie häufig behaup-tet wird, „Fantasie“ einer kleinen Gruppe der „Unzufriedenen“, son-dern Rassismus und Nationalismus sind in der Mitte unserer Gesell-schaft angekommen und ist salonfähig geworden.

Zivilgesellschaftlich engagierte Menschen, Ehrenamtliche und Men-schenrechtsorganisationen leisten mit ihren Aktivitäten für sozialen Frieden in unserer Gesellschaft unbezahlbare und wichtige Dienste. Sie versuchen unsere harterkämpfte Demokratie couragiert mit ihren innovativen Ideen gegenüber Populisten und rassistischen Strömun-gen zu verteidigen.

Dem Rechtsruck in unserer Gesellschaft kann nur begegnet werden, indem wir Lösungsstrategien für ernstzunehmende Problemfelder unseres Landes aufzeigen: Gerechte Teilhabe an Ressourcen, Chan-cengerechtigkeit in der Bildung, Arbeit und eine bessere Wohnsitua-tion. Unsere Demokratie kann nur geschützt werden, indem sich die Zivilgesellschaft und die demokratischen Parteien stärker für demo-kratische Prinzipien in unserem Land einsetzen.

AMFN e.V. als landesweite Interessenvertretung von Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen will sich bei ihrer diesjährigen Konferenz mit dem Thema „Rassismus und Rechtsruck in Deutschland“ ausei-nandersetzten. Wir laden Sie herzlich ein. Machen Sie mit!

09:00
Eintreffen und Kaffee

09:45
Eröffnung
Habib Eslami – Konferenzleitung
Elvira Koop -Sprecherin des Vorstands von amfn e.V.

10:00
Einführung in die Thematik
Dr. Anwar Hadeed – Geschäftsführer von amfn e.V.

10:30
Das kalte Antlitz Europas. Rassismus, Gleichgültigkeit und das Sprechen über Werte
Prof. Dr. phil. Paul Mecheril – Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Fragen und Diskussion

12:00
Pause

12:15
Integrations- und Teilhabepolitik der Niedersächsischen Landesregierung
Dr. Carola Reimann – Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung

Fragen und Diskussion

13:15
Mittagessen

14:00
„Unsere Perspektive kommt nicht vor“
Armaghan Naghipour – Stellvertretende Vorsitzende des Vereins DeutschPlus e.V.-Initiative für eine Plurale Republik

14:30
Handlungsstrategien für ein pluralistisches und demokratisches Niedersachsen
Podiumsdiskussion mit Armaghan Naghipour, Djenabou Diallo-Hartmann, Belit Onay MdL, Christoph Eilers MdL

16:30
Ausblick und Abschied

Habib Eslami

Habib Eslami
Konferenzleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Freundinnen und Freunde,

ich möchte Sie im Namen der Konferenzleitung sehr herzlich begrüßen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
unser Land befindet sich zurzeit, gesellschaftspolitisch gesehen, in einem sehr kritischen Zustand:
Im Zuge der Weltflüchtlingsbewegung und im Zuge der Zuwanderung nach Europa, unter anderem auch nach Deutschland, hat sich unsere Gesellschaft sehr stark polarisiert.

  • auf der einen Seite erleben wir eine enorme Solidarität mit den Flüchtlingen: Zahlreiche Ehrenamtliche, Initiativen, Migrantenorganisationen sowie Menschenrechtsgruppen setzen sich für eine menschenwürdige Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen ein,
  • auf der anderen Seite nutzen die rechten Kräfte und Rechtspopulisten die Zuwanderungs- und Flüchtlingsbewegung aus, um die „Unzufriedenen“ zu mobilisieren.

Leider auch sehr erfolgreich!

Die AfD (Alternative für Deutschland) hat es geschafft nach dem Erfolg bei den Landtagswahlen in Hessen in allen 16 Landesparlamenten vertreten zu sein.
Sie sitzen seit den letzten Bundestagswahlen auch im Deutschen Bundestag.

Rassistische und rechtsradikale Parteien und Gruppen: wie die AfD, die PEGIDAs, die Identitäre Bewegung Deutschland und andere versuchen ihre menschenverachtenden Ziele auf Kosten von Migranten und Flüchtlingen zu erreichen:

Sie behaupten:

  • Die Einwanderung nach Deutschland bedroht unser Land und unser Leben.
  • Die Flüchtlinge bringen Terrorismus und Unsicherheit nach Deutschland.
  • Die Migranten und Flüchtlinge sind verantwortlich für Kriminalität, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit.

Gefährlich an dieser neuen politischen Entwicklung in unserem Land ist, dass sie es geschafft haben, eine gesellschaftliche Basis für sich zu schaffen und den latent vorhandenen Rassismus in unserer Gesellschaft zu reaktivieren.

Die demokratischen Volksparteien haben es hingegen leider nicht geschafft diesen politischen Rechtsruck in unserem Land zu verhindern.
Anstatt Demokratie und demokratische Prinzipien zu stärken und Lösungsmöglichkeiten für die vorhandenen Probleme anzubieten, haben sie dem Druck der Rechtspopulisten nachgegeben.
Sie haben sich mehr mit sich beschäftigt, als mit dem Rechtsruck in unserem Land.

Sehr geehrte Damen und Herren,

unsere Demokratie zu schützen und zu entwickeln ist nicht nur die Aufgabe der Politik, wir sind alle aufgefordert uns dieser Herausforderung zu stellen.

Ich wünsche uns eine erfolgreiche Konferenz.

Vielen Dank!

Elvira Koop - Sprecherin der Vorstands von amfn e.V.

Elvira Koop
Sprecherin der Vorstands von amfn e.V.

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Gäste,

im Namen des Vorstandes von amfn e.V. freue ich mich sehr, Sie zu unserer diesjährigen Konferenz begrüßen zu dürfen.

Wie in den vergangenen Jahren, versuchen wir aktuelle Themen für die Konferenz auszuwählen.
Es besorgt uns sehr, dass sich das gesellschaftliche Klima in den letzten Jahren (seit 2015) auch in Deutschland und in vielen Ländern Europas, rapide verschlechtert hat: Gewalt und rassistisches Denken greifen um sich.
Die AfD, die inzwischen in allen Landesparlamenten und im Bundestag vertreten ist, polarisiert die Gesellschaft, schürt Ängste und gibt rassistische und diskriminierende Äußerungen über Minderheiten von sich. Das ist inakzeptabel und dagegen müssen wir alle aufstehen und Haltung zeigen: für unsere Überzeugungen, für Menschenrechte, unser Grundgesetz verteidigen und den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken.
Viele von denen die hier sitzen erleben alltäglich Rassismus und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft. Das dürfen wir nicht mehr länger hinnehmen, meine Damen und Herren, denn wenn Millionen Menschen aufgrund Ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion ausgegrenzt werden, müssen wir dem entgegentreten und Gesicht zeigen.
Diese Verankerung der Ausgrenzung und diskriminierende Haltung, auch in der Mitte unserer Gesellschafft, besorgt und beschäftigt uns (meine Schüler*innen und mich) im Sprachkurs sehr. Frauen mit Migrationsherkunft haben es besonders schwer in unserer Gesellschafft, Teilhabe zu erlangen. Das müssen wir ändern.

Amfn e.V. hat in den in den letzten Jahren neben vielen Themenschwerpunkten, das Thema politische Bildung für Geflüchtete und andere länger in Niedersachsen lebende Menschen mit Migrationsherkunft durchgeführt. Auch im Hinblick auf den Zugang zu der Zielgruppe, werden wir das Thema weiter voranbringen. Denn Bildung ermöglicht Teilhabe, und das muss für Alle möglich gemacht werden.

Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

wir Migrant*innenselbsorganisationen haben viel vor, wir werden uns aktiv an der Gestaltung der Zukunft Niedersachsens beteiligen und an den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen mitwirken. Ich freue mich sehr auf diese sehr wichtige Konferenz heute.

Ich wünsche Ihnen und uns allen eine konstruktive Veranstaltung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Anwar Hadeed - amfn e.V. Geschäftsführer

Dr. Anwar Hadeed
amfn e.V. Geschäftsführer

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen, liebe Freunde,

seit unserer letzten landesweiten Konferenz – vor nunmehr zwei Jahren – hat sich die öffentliche Stimmung in Europa und Deutschland rasant verändert. Wir erleben einen dramatisch nach rechtsaußen rutschenden politischen Diskurs.

Die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland steigt.

Muslime werden deutlich negativer gesehen. Antisemitismus ist nach wie vor verbreitet und die offene Gesellschaft, in der alle Gruppen gleiche Rechte haben, wird zunehmend in Frage gestellt. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie der Leipziger Universität[1]. Laut der Studie die am vergangenen Mittwoch vorgestellt wurde, stimmen mehr als ein Drittel der Deutschen (35,6%) vollständig der Aussage zu, die Bundesrepublik sei in einem gefährlichen Maß überfremdet. Über ein Viertel würde Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken, wenn in Deutschland die Arbeitsplätze knapp werden.

Die Befragung in der Kategorie Ausländerfeindlichkeit zeigt, dass 24 Prozent und damit rund ein Viertel der Deutschen eine ablehnende Haltung gegenüber Ausländern haben. Während im Westen 22 Prozent der Befragten ausländerfeindlich eingestellt sind, sind es im Osten 31 Prozent.
Obwohl interkultureller Austausch im Alltag stattfinde, wurden Vorurteile nicht abgebaut. „‚Die Ausländer‘ bleiben ein gewohntes Feindbild“, schreiben die Forscher.

Die Forderung nach gleichen Rechten für alle unterstützt noch nicht einmal die Hälfte der Deutschen: Nur 47% finden, dass das Freiheitsrecht gleichermaßen für alle Gruppen Gültigkeit besitzen sollte.
Elf Prozent der Befragten wünschen sich einen „starken Führer, der Deutschland mit harter Hand regiert“.

Sehr geehrte Damen und Herren,

auch in der Politik und an dem Parteienspektrum kann man sehen, wie der Diskurs mehr und mehr nach rechts verschoben wurde. Einen Diskurs, der wenig mit Fakten zu tun hat, sondern mit Ängsten.

Mit über 12 Prozent und als drittstärkste Kraft zogen die Rechten am 24. September in den Bundestag ein. Zum ersten Mal seit über 60 Jahren sitzt nun wieder eine rechte Partei im deutschen Parlament. Mit dem Einzug in den Bayerischen bzw. den Hessischen Landtag ist die AfD jetzt in allen 16 Parlamenten, sehr oft zweistellig, vertreten.

Bei der AfD handelt es sich um eine Partei, die unsere demokratischen Grundwerte anzweifelt und angreift. Viele Politiker dieser Partei diskriminieren Minderheiten mit faschistischen Äußerungen. Sie versuchen unsere Gesellschaft zu spalten, indem Sie Hass verbreiten.

Hass ist ein mächtiges Gefühl. Er macht stark, erhebt einen über die anderen, braucht keine Erklärungen, kennt keine Zweifel und macht vor nichts Halt. Menschen, die hassen, verbreiten Lügen, sie jagen Menschen durch die Straßen.
Lange konnte man sich darauf verlassen, dass Hass im politischen Diskurs in Deutschland keinen Platz hat. Hass hatte das Land zerstört. Deshalb steht der Schutz der Menschenwürde im ersten Artikel des Grundgesetzes.

Die strategische Entmoralisierung der Gesellschaft durch die Rechtsextremen gelingt.
AfD-Chef Alexander Gauland lässt gar keinen Zweifel daran, dass genau das sein Ziel ist. Erst jüngst wieder hat er in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärt: „Wir versuchen, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten“. Wenn die demokratischen Parteien jetzt dieser Politik hinterherlaufen – wie sie es schon tun, müssen wir Angst um unsere Demokratie haben.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen, liebe Freunde,

die deutsche Geschichte hat uns gelehrt dass wir unsere Augen besser nicht von solchen Entwicklungen verschließen sollten.

Was können wir also tun? Was können wir alle – Politik und Zivilgesellschaft tun, damit wir den Weg zu einer demokratischen und lebendigen Einwanderungsgesellschaft nicht verlassen? Diese Fragen wollen wir heute versuchen zu beantworten.
Es gibt bereits jetzt Beispiele, die Mut machen: Menschen die für Demokratie und Vielfalt eintreten und für ein weltoffenes Deutschland kämpfen, formieren sich: Ich will hier nur die Demonstration mit einer Viertelmillion Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Berlin erwähnen, die Kampagne MeTwo oder die vielen Demonstrationen gegen die rassistischen Übergriffe in Chemnitz in vielen Städten.

Vorweg möchte ich noch auf einige Punkte eingehen.

Wir haben in Deutschland ein Rassismus-Problem. Seit dem Erstarken der AfD und ihrem Einzug in den Bundestag ist es heute in unserem Land möglich, rassistische Gedanken offen zu äußern. Und Tatsache ist: Wir haben ein strukturelles Problem mit Rassismus. In den Schulen, bei der Wohnungssuche auf dem Arbeitsmarkt. Rassistische Diskriminierungen, Benachteiligung aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Glaubens sind eine Alltagserfahrung von MigrantInnen. Viele Betroffene haben es als Befreiung empfunden, das endlich öffentlich aussprechen zu können.

Es wird häufig geglaubt, dass die Ursache von Rassismus bei der misslungenen Integration liegt und dass Rassismus abnimmt, wenn Integration gelingt.
Zwischen Rassismus und Integration gibt es ein sehr komplexes Verhältnis.

Rassismus kann sich auf Desintegration richten, aber auch auf Integration. Weil es immer mehr erfolgreiche Migrantinnen und Migranten gibt, die sich selbstverständlich als Teil des Ganzen verstehen und selbstbewusst Mitgestaltung fordern, werden Sie von Rassisten als Gefahr gesehen. Ihnen wird Unterwanderung des Staates und der Gesellschaft vorgeworfen. Mit Äußerungen „Sie nehmen uns unsere Heimat weg.“ werden Ängste geschürt und mobilisiert.
Aber auch die Desintegration, die es in einer Einwanderungsgesellschaft selbstverständlich ebenfalls gibt, wird als Begründung für rassistisch motivierte Äußerungen herangezogen: „Sie sind faul, kriminell und beuten unser Sozialsystem aus.“

Auch der gefühlte Heimatverlust hat mit Migranten und Migration wenig zu tun, sondern eher mit Globalisierung, Digitalisierung und Strukturwandel. Die Sehnsucht nach der Vergangenheit ist für viele, insbesondere für junge Leute nicht attraktiv.
Keiner der hier Anwesenden würde es zwei Wochen im Deutschland der 60er und 70er aushalten. Zu autoritär, zu verschlossen, zu ordnungsverliebt und vor allem zu langweilig.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen, liebe Freunde,

die Zusammensetzung der Bevölkerung auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland hat sich durch Einwanderung, Flucht und Arbeitsmigration verändert. Die deutsche Gesellschaft ist heute so vielfältig wie wohl niemals zuvor.

Aktuell weist fast jede*r vierte Einwohner*in Deutschlands einen Migrationshintergrund auf (bei Kindern unter sechs Jahren beträgt der Anteil in manchen Regionen bereits mehr als 60 Prozent).

An der Illusion des Nicht-Einwanderungslandes kann von nun an, auch mit größter Mühe, nicht mehr festgehalten werden.

Der politische Richtungskampf tobt. Es geht um Definitionshoheit über das Volk, darüber in was für einer Gesellschaft wir leben wollen?
Populisten schreien vom rechten Rand bis in die Mitte der Gesellschaft. Sie wollen unser Land spalten und dabei bieten sie einen rückwärtsgewandten Diskurs, einen vergangenheitsorientierten Diskurs an. Sie bieten ein ausgrenzendes Wir, ein nationales und egoistisches Wir, das nicht daran denkt, Wohlstand etwa zu teilen oder über Gerechtigkeitsfragen zu reden. Es ist ein Wir, mit dem sich Neid- und Angstdebatten führen lassen.
Was sie wollen ist ein neuer alter Begriff von Staat, der stark sein soll und auf Sicherheit gebaut ist. Ein Staat also, der im Zweifelsfall die demokratischen oder humanitären Traditionen aufgibt.

Dieses Nationalstaats-Denken wirkt sich nachhaltig auf die Integrationspolitik aus. „Der emotional hoch aufgeladene politische Widerstand gegen die Umwandlung Deutschlands von einem bloßen Zuwanderungsland in ein Einwanderungsland hat seine ideologische Grundlage im überkommenen völkischen Staats- und Kulturverständnis.“

In der Polemik gegen eine Einwanderungsgesellschaft äußert sich die von einer Entfremdungsangst geprägte Sehnsucht nach einer kulturellen nationalen Homogenität, die allerdings in Deutschland, nicht zuletzt, aufgrund seiner konfessionellen Spaltung, nie existierte und die es erst recht nicht in der heutigen deutschen Gesellschaft geben kann.

Sehr geehrte Damen und Herren,

was wir brauchen, ist mehr gesellschaftlicher Zusammenhalt mehr Qualität des gemeinschaftlichen Miteinanders in unserem Gemeinwesen.
Gesellschaftlichen Zusammenhalt kann es in heutigen Gesellschaften nur dann geben, wenn es gelingt, mit Diversität konstruktiv umzugehen.

Diversität ist kein Sonderfall, sondern längst Normalität. Politische Entscheidungsprozesse und Institutionen müssen dieser demographischen Entwicklung gerecht werden. Wir brauchen einen migrations- und integrationspolitischen Perspektivenwechsel.

Wir brauchen eine Vision des Zusammenlebens, die nicht nur für die eine Hälfte, sondern für die breite Mehrheit der Menschen dieses Landes Gültigkeit besitzt.

Die Politik hat in dieser Hinsicht ihre „Hausaufgaben“ nicht gemacht. Die Ankündigung des Wahlabends von Alexander Gauland „Wir werden die etablieren Parteien vor uns hertreiben“ ist Wirklichkeit geworden. Die AfD bestimmt die migrationspolitische Debatte.
Aus Angst vor weiteren Erfolgen der Rechtspopulisten gestaltet die Politik wenig und reglementiert viel. Das darf nicht sein!

Niedersachsen ist auf dem Weg zur Einwanderungsgesellschaft. Das scheinen die Koalitionspartner übersehen zu haben. In dem Koalitionsvertrag steht kaum etwas zur Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft, zu gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte in Bildung, Arbeit und politischer Partizipation.

Wir erwarten von der Landesregierung, dass diese Fragen intensiv behandelt werden. Wir als amfn haben konkrete Vorschläge gemacht, wie die Einwanderungsgesellschaft Niedersachsen besser funktionieren kann, und den Parlamentariern zukommen lassen. Von unseren Vorschlägen findet sich im Koalitionsvertrag kaum etwas wieder.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen, liebe Freunde,

amfn steht für eine Einwanderungsgesellschaft!
Der Zusammenhalt der Mehrheit darf nicht auf Kosten der Ausgrenzung von Minderheiten erzielt werden.

Amfn steht für den konstruktiven Streit über die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft. Wie schon gesagt: Mehr Integration bedeutet eine stärkere Stimme für die Teilhaberechte und -möglichkeiten der Zugewanderten, ihrer Kinder und Enkel. Ressourcen müssen neu verteilt werden und wir bestimmen dabei mit.

Konkret bedeutet dieses aus migrantischer Perspektive:

  • Deutschland ist ein Einwanderungsland und Vielfalt eine Tatsache. Danach müssen wir handeln. Wir brauchen ein positives Bekenntnis zu Vielfalt und gleichberechtigter Teilhabe. Wir brauchen keine „Beispiele gelungener Integration“. Wir brauchen einen selbstverständlichen, entspannten und wertschätzenden Umgang mit Vielfalt. Dabei kommt öffentlichen Institutionen, insbesondere Bildungseinrichtungen, eine Vorbildfunktion zu.
  • Eine gerechte Gesellschaft bedeutet, dass alle teilhaben können. Wir brauchen einen gesetzlichen Anspruch auf Teilhabe in Form eines Partizipations- und Teilhabegesetzes, wie es bereits die Vorgängerregierung in Niedersachsen geplant hatte.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir alle, mit und ohne Einwanderungsgeschichte sollten gemeinsam Verantwortung für die Zukunft Deutschlands und Niedersachsens übernehmen.

Gemeinsam sollten wir die Ideen von Freiheit, Gleichheit und allgemeiner Menschenwürde verteidigen und nicht erlauben, dass Lügen und Hasspredigten die Grundlagen der politischen Auseinandersetzungen zerstören.

Aufseiten der Migrantinnen und Migranten und ihrer Organisationen ist mehr Einmischung notwendig. Sie müssen sich für die Zukunftsgestaltung unseres Niedersachsens aktiv beteiligen.
Sie sind aufgefordert, Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft zu übernehmen und aktiv an den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen mitzuwirken. Gerade jetzt ist die Beteiligung der Migrantinnen und Migranten ein wesentlicher Einflussfaktor für die Herstellung einer gemeinsamen zivilen und demokratischen Identität.

Amfn als landesweite Dachorganisation der Migranten-Vereine und Netzwerke in Niedersachsen, wird all jenen vehement entgegentreten, die unsere selbstverständliche Zugehörigkeit zu Niedersachsen und unseren Teilhabeanspruch infrage stellen.

Kein „Wir ohne uns“. Für ein „Wir der Verschiedenen“ in einem gemeinsamen Niedersachsen.

Ich wünsche Ihnen, uns Allen, eine interessante Tagung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[1]Link zur Autoritarismusstudie

Prof. Dr. phil. Paul Mecheril - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Prof. Dr. phil. Paul Mecheril
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Prof. Dr. Mecheril hat frei gesprochen, deshalb liegt sein Beitrag nicht in schriftlicher Form, sondern nur als Videodokumentation, vor.

Dr. Carola Reimann - Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung

Dr. Carola Reimann
Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung

Rede der Niedersächsischen Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Dr. Carola Reimann, anlässlich der Landeskonferenz der Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen e.V. am 10.11.2018 in Hannover,

Thema der Veranstaltung: Rechtsruck in Deutschland – Strategien für eine pluralistische, demokratische Gesellschaft

Sehr geehrte Frau Elvira Koop (Vorstand amfn),
sehr geehrte Herr Dr. Anwar Hadeed (Geschäftsführer amfn),
sehr geehrte Damen und Herren,

gerne habe ich die Einladung zu Ihrer diesjährigen landesweiten Konferenz angenommen.

Die Arbeitsgemeinschaft Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen (amfn e.V.) ist seit Jahren ein wichtiger Partner der Landesregierung.

Unser gemeinsames Ziel ist die gelungene Integration von Migrantinnen, Migranten und geflüchteten Menschen in die deutsche Gesellschaft.

In Ihrer Satzung haben Sie dieses Ziel formuliert, und in der Koalitionsvereinbarung der Landesregierung ist die wichtige Rolle der Migrantenorganisationen in der Integration bestätigt.

Hierzu gehört auch, die Migrantenorganisationen einzubinden bei strategischen Planungen aber auch bei der Durchführung von Integrationsmaßnahmen.

Wichtig ist es, sie weiter zu professionalisieren und ihre institutionelle Förderung fortzuschreiben.

Mir ist die Professionalisierung ein wichtiges Anliegen.

Im Rahmen des Pilotprojektes „Professional skills and networking“ wurde in meinem Haus der Workshop „Diversity Management – Managing Diversity“ am 25. Oktober dieses Jahres angeboten.

Auf eine weitere konstruktive Zusammenarbeit im Rahmen des Pilotprojektes freue ich mich.

Anrede,

dies ist aber nur eines von mehreren gemeinsamen Themen.

So haben wir beispielsweise 2011 gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge in Niedersachsen das MigrantenElternNetzwerk Niedersachsen auf den Weg gebracht.

Das zentrale Ziel des Netzwerkes ist es, die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte in Niedersachsen zu verbessern.

Über einen Empowerment-Ansatz, der die Eltern in den Fokus nimmt, wollen wir dies erreichen.

Die Stärkung der Erziehungskompetenz und auch die Vermittlung von Systemwissen sollen nachhaltig wirken.

Die Eltern werden motiviert, institutionelle Angebote z.B. im frühkindlichen Bereich zu nutzen.

Außerdem werden sie dabei unterstützt, sich für den Bildungserfolg ihrer Kinder in familiären Strukturen, Institutionen und Gremien zu engagieren.

Mittlerweile bestehen landesweit 8 Regionalnetzwerke, die jeweils kommunal verankert sind.

Sie bestehen aus einer Vielzahl an verschiedenen Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen.

Durch die zentrale Koordinierungsstelle bei Ihrer Arbeitsgemeinschaft erfolgen Vernetzung und begleitete Weiterentwicklung.

Außerdem werden sie gezielt darin unterstützt, die in Niedersachsen schutzsuchenden Familien adressatengerecht in die Netzwerke aufzunehmen.

Anrede,

diese gemeinsamen Projekte sind Beispiele für eine gute vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Und deshalb kommen wir heute hier zusammen, um uns im Rahmen Ihrer Konferenz über aktuelle Themen in der Integration auszutauschen.

Auf diese Zusammenarbeit können wir mittlerweile bauen – wie man so sagt.

Unser inhaltlicher Austausch stellt einen starken und verbindenden Brückenpfeiler dar.

In der landesweiten Integrations- und Flüchtlingsarbeit verknüpfe ich die Förderung des Vereins mit dem Austausch über Inhalte und nutze gern Ihre Expertise und ich wünsche mir, dass Sie Ihr Wissen und Know-How in die integrationspolitische Arbeit einbringen.

Kommunikation auf Augenhöhe ist für mich unabdingbar und selbstverständlich.

Unser gemeinsames Gestalten der Aufnahmegesellschaft soll schließlich das Fundament für eine erfolgreiche und die Vielfalt würdigende Integrationsarbeit sein.

Hier knüpfe ich an die Studie des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration und der Robert Bosch Stiftung, „Wie gelingt Integration?“, aus 2017[1] an.

Unter Fazit und Handlungsempfehlungen ist zu lesen:

Soziale Teilhabe nicht als Selbstläufer betrachten.

Weiter wird beschrieben, wie wichtig es ist, Migrantinnen, Migranten und geflüchtete Menschen „mit der ansässigen Bevölkerung in Kontakt zu bringen“.

Und im 2. Schritt, heißt es, „sollen sie als Engagierte gewonnen und mit ihren Kompetenzen in das kommunale Leben eingebunden werden.“

Es heißt dort aber auch, dass „auch gute Maßnahmen und Strukturen ins Leere laufen, wenn sie unbekannt sind.

Information ist also auch hier entscheidend; wichtig sind aber auch verlässliche zentrale Ansprechpartner[2].“

Ja, in diesem Prozess des Kennenlernens und des Zusammenfindens nehmen Sie als einer der vielen Akteure eine tragende Rolle ein.

Dafür danke ich Ihnen!

Anrede,

wir erleben in Niedersachsen – aber auch bundesweit – seit vielen Jahren einen Wandel der Bevölkerungszusammensetzung.

Meinen Fokus möchte ich an dieser Stelle auf den Anteil der Menschen mit einer eigenen oder familiären Zuwanderungsgeschichte lenken.

Ihr Anteil ist im vergangenen Jahr auf 21 %[3] angestiegen.

In Niedersachsen engagieren wir uns hier konkret und zielgerichtet:

Mit der interkulturellen Öffnung der Landesverwaltung haben wir in den vergangenen Jahren bereits ein gutes Stück des Weges geschafft.

Die Vereinbarung zwischen der Landesregierung und den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und Berufsverbände ist eine gute und verbindliche Rechtsgrundlage.

Sie ist zugleich Basis für die nachhaltige Verstetigung dieses Prozesses.

Dieser wird u. a. durch die Stärkung der interkulturellen Kompetenzen der Beschäftigten weiter fortgesetzt.

Das Thema der heutigen Konferenz korrespondiert mit einem der großen Handlungsfelder in Migrations- und Teilhabepolitik:

dem Engagement für Vielfalt und Toleranz.

Niedersachsen ist geprägt durch die Vielfalt der hier lebenden Menschen.

Die Menschenrechte und die freiheitlich-demokratische Grundordnung sind dabei unverrückbare Parameter!

Ein gutes Zusammenleben erfordert, die Wertschätzung und Akzeptanz sowie die Vielfalt der Menschen untereinander zu fördern und gleichzeitig energisch Diskriminierung und Extremismus,

  • egal ob er politisch
  • oder religiös motiviert ist,

entgegenzutreten.

In der Politik, aus Reden und Diskussionen kennen wir die Feindbilder, die Stereotypen, die Angst und Ablehnung in der Bevölkerung hervorrufen.

Wir sind hier gefordert, uns für die Menschenrechte einzusetzen und dies auch – in Wort und Tat – zu zeigen!

Im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung gegen Rassismus aus Juni 2017[4] bestätigen sich Trends im Blick auf ein „rechtsextremes Syndrom“:

  • Ausländerfeindliche Abwertungen entwickeln sich in der deutschen Bevölkerung seit 2002 tendenziell rückläufig, auch wenn zuletzt ein leichter Anstieg zu vernehmen ist.
  • Auch der Antisemitismus ist leicht rückläufig, auch wenn die öffentlich stark beachteten Vorfälle in Berlin eine andere Sprache sprechen.
  • Das von den Autoren als manifest rechtsextreme Einstellung genannte Gesamtkonstrukt aus den sechs Dimensionen
  1. Ausländerfeindlichkeit
  2. Chauvinismus
  3. Antisemitismus
  4. Befürwortung rechtsautoritärer Diktatur
  5. Sozialdarwinismus
  6. Verharmlosung des Nationalsozialismus

lässt eine stabile, leicht rückgängige Entwicklung zwischen 2002 und 2012 erkennen.

Anschließend kam es 2014 zu einem starken Rückgang mit nochmals niedrigeren Werten zuletzt 2016.

Dem Verfassungsschutzbericht 2017/Vorabfassung ist zu entnehmen,

dass das Mitgliederpotenzial des Rechtsextremismus in Deutschland im Jahr 2017 gegenüber 2016 gestiegen ist:

von 24.350 auf 25.250 Personen.

Demgegenüber sind die Zahlen in Niedersachsen gesunken: von 1.420 auf 1.325 Personen.

900 Personen sind in Niedersachsen sowohl 2016 als auch 2017 als gewaltbereite Rechtsextremisten einzustufen.

Das ist beunruhigend.

Fakt ist: Im Zuge der starken Zuwanderung geflüchteter Menschen nach Deutschland ist es zu einer Mobilisierung des gewalttätigen Rechtsextremismus gekommen, nachzulesen in dem Gutachten

„Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland – Schwerpunkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer“[5].

Demnach wurden im Jahr 2016 mit 1.600 Gewalttaten doppelt so viele gezählt wie im Jahr 2013.

Politischem und politisch-religiösem Extremismus müssen wir deutlich und entschieden entgegentreten.

Mit Information, Aufklärung und Prävention können wir vorbeugen und verhindern, dass extremistische Standpunkte Wirkung entfalten.

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration[6] zieht in dem SVR-Integrationsbarometer 2018 das Fazit:

„Das Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft wird überwiegend positiv gesehen, und sofern es persönlich erlebt wird, ist es erstaunlich stabil.

Andererseits hat sich das Integrationsklima in den letzten zwei Jahren dort eingetrübt, wo die Menschen die Einwanderungsgesellschaft im Alltag nicht selbst erleben:

Das gilt für die Befragten ohne Migrationshintergrund, die selbst wenig oder gar keinen Kontakt zu Personen mit Migrationshintergrund haben.[7]

An dieser Stelle also können Maßnahmen wirksam ansetzen:

  • Orte und Anlässe für Begegnungen und ein gemeinsames Erleben schaffen,
  • den in der Aufnahmegesellschaft lebenden Menschen und ankommenden Menschen ein gegenseitiges Kennenlernen ermöglichen und somit
  • Akzeptanz und Toleranz wirkungsvoll stärken.

Unsere Richtlinie Demokratie und Toleranz ermöglicht mit migrationspolitischer Perspektive die Verwirklichung dieser Handlungsansätze.

Im Rahmen dieser Richtlinie stellt die Landesregierung im Jahr 2018 bis zu 945.000 Euro zur Verfügung.

Mit diesen Mitteln fördern wir Projekte, die

  • Fremdenfeindlichkeit,
  • Diskriminierung
  • und Extremismus

in der Gesellschaft entgegenwirken.

Ein Schwerpunkt liegt in der Prävention von Rechtsextremismus.

Und in diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis gestattet, dass u.a. solche Projekte Vorrang haben, die das Thema Geschlechtergerechtigkeit aufgreifen und auch Männern den Impuls geben, sich mit dem Thema Gleichstellung auseinanderzusetzen.

Die Zielgruppe, die wir insbesondere erreichen wollen, sind die Jugendlichen – mit und ohne Zuwanderungsgeschichte.

Unter den geförderten Projekten aus dem Jahr 2017 ist auch ein Ferienkulturcamp.

Hier haben Schülerinnen und Schüler Filmbeiträge zu dem Thema „Tolerantes Miteinander“ erarbeitet.

In einem soziokulturellen Jugendtheaterprojekt lernten Jugendliche mit und ohne Zuwanderungsgeschichte Kinder- und Menschenrechte kennen und wurden sensibilisiert für Gerechtigkeit, Toleranz und gleichberechtigte demokratische Teilhabe.

Es gab Zeitzeugen-Gespräche mit Holocaust-Überlebenden. In diesen ging es nicht nur um die Vergangenheit, sondern sie diskutierten auch mit den Schülerinnen und Schülern über interkulturelle Verständigung und Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus.

Gleichfalls wurden Lesungen für die Öffentlichkeit angeboten.

Dies sind einige Beispiele von Fördermaßnahmen, aus Mitteln des Sozialministeriums finanziert.

Unser Ziel ist es, zu verhindern, dass Menschen – hier insbesondere Jugendliche – nach rechts rücken.

Für mich als Integrationsministerin stellt Prävention von Rechtsextremismus ein bedeutendes Handlungsfeld dar, in dem das Ziel eines friedlichen Miteinanders nachhaltig unterstützt wird.

Hierin bitte ich Sie um Ihre Unterstützung!

Führen sie bitte auch erklärende und auf Verständigung ausgerichtete Projekte durch!

Ich freue mich auf den Austausch und die Vorträge der heutigen Konferenz.

[1] S. 96

[2] S. 6

[3] Statistisches Bundesamt (2018): Fachserie 1 Reihe 2.2, 2017

[4] Anlage III, S. 138

[5] Prof. Dr. Christian Pfeiffer, Prof. Dr. Dirk Baier, Dr. Sören Kliem, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, im Auftrag des BMFSFJ, 2018, S. 57

[6] Der Sachverständigenrat geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an: Stiftung Mercator, VolkswagenStiftung, Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband und Vodafone Stiftung Deutschland.

[7] S. 26

Armaghan Naghipour - stv. Vorsitzende des Vereins DeutschPlus e.V. – Initiative für eine plurale Republik

Armaghan Naghipour
stv. Vorsitzende des Vereins DeutschPlus e.V. – Initiative für eine plurale Republik

Gezeigtes Video unter: https://www.youtube.com/watch?v=CeFyiKsvUkM

Liebe Gäste,

Mit diesem Filmchen, das wir zu unserer Kampagne Respekt fängt beim Namen an gedreht haben, stelle ich mich vor. Armaghan Naghipour.

Sie können sich sicherlich denken, dass es mir häufiger im Leben so erging wie der Frau im Video.

Von Amalgam Zahnfüllung, bis hin zu Armageddon, Aragon aus Herr der Ringe, und Bubble Gum, war alles dabei.

Es kam zu einem Punkt, wo ich es vorzog mir einen Spitznamen zu geben, damit ich nicht jedes Mal meinen Namen buchstabieren UND dessen Aussprache erklären musste. Ich war es leid. So sehr meine Eltern mir versicherten, dass es im Persischen ein wunderschöner seltener Name sei, so sehr trug eben dieses Seltene zu meiner Exotisierung bei, ohne dass ich irgendetwas dazutun konnte.

Irgendwann bläute es mir ein, was meine Mutter immer mal betont hatte: Es ist eine reine Perspektivsache, was vermeintlich kompliziert erscheint. Während es für die hiesige Mehrheitsgesellschaft die Aussprache  Deines Namens ist, ist es für die migrantische Perspektive die Aussprache der typischen deutschen Namen wie z.B. Michael – der gerne auch mal Mikael genannt wird. Oder eine Person wie Andreas, die Anderias ausgesprochen wird. Seit einigen Jahren stelle ich mich also wieder mit meinem richtigen Namen vor und werde auch nicht müde ihn zu buchstabieren und bei der Aussprache zu helfen. Auch damit trage ich dazu bei, dass unsere oder sagen wir andere Perspektiven auftreten.

Und das bringt mich jetzt direkt zum Thema meines Vortrags:

Im Vorfeld zu dieser Veranstaltung wurde ich angefragt, ob ich mich in meinem Wortbeitrag heute mit der Aussage „Unsere Perspektive kommt nicht vor“ beschäftigen kann. Ich habe den Titel angenommen, weil ich ihn eben auch als Ausruf der MigrantInnenorganisationen verstanden habe.

Als Juristin, die gerne mal Haarspalterei betreibt, stelle ich aber fest: Unsere Perspektiven kommen vor. Allein der Umstand, dass diese Veranstaltung anberaumt wurde, ich hier heute stehe, beweist, sie kommt vor.

Ob sie dann aber auch Berücksichtigung findet im gesamtgesellschaftlichen Diskurs, insbesondere dann auch darüber hinaus in der Politik, in Gesetzgebungsverfahren – das ist eine ganz andere Frage. Aber eine, die ich gerne adressieren möchte heute.

Aber ich rudere mal zurück und mache das, was ich angekündigt habe, nämlich Haarspalterei:

Denn, fragen wir uns überhaupt vorab mal:

Gibt es sie denn, diese eine unsere migrantische Perspektive?

Ich stehe hier heute als stv. Vorsitzende eines Vereins, der sich seit der Ära Sarazzins, das sind ja jetzt auch schon über sieben Jahre, genau mit solchen Fragen intensiv beschäftigt. So haben die Gründer*innen des Vereins den Namen auch DeutschPlus genannt, weil sie genau das als Antwort auf Sarazzin, der ja damals mit der Überfremdungswarnung und seinem Ausruf „Deutschland schafft sich ab“, entgegenbringen wollten.

Wir – also Menschen, die aus Einwandererfamilien kommen, sind vielmehr als Deutsch. Und überhaupt, was heißt es überhaupt Deutsch zu sein? Sie wollten genau für diese Vielfalt, die hier im Land schon besteht einen Raum schaffen, und dieser Raum ist eben in dem PLUS enthalten. Damit suggerieren wir natürlich auch, dass es nicht nur eine Frage mehrerer Identitäten ist, für manche nationale Identitäten, ich persönlich kann mit dem Nationalen gar nicht so viel anfangen (da gehört die ganze Heimatdiskussion mit rein z.B.). Es können aber auch andere Identitäten sein. Vielleicht die der sexuellen Zugehörigkeit, der politischen Identität.

Ich werde in den nächsten Minuten also versuchen aufzuzeigen, dass unsere Perspektiven da sind, sie müssen nur sichtbarer gemacht werden.

So haben wir derzeit drei große Projekte am Laufen:

  1. Stimmen für Vielfalt: In diesem Projekt beraten wir deutschlandweit derzeit 12 Migrantinnenselbstorganisationen zu Themen rund um Das Modellprojekt zielt darauf ab, die Strukturen von Migrant_innen-selbstorganisationen zu unterstützen und weiter auszubauen, damit diese stärker an gesellschaftspolitischen Aushandlungsprozessen partizipieren und ihre Stimmen gehört werden. Hierfür müssen institutionalisierte und sich institutionalisierende Strukturen von marginalisierten Personengruppen gefördert und empowert werden. Das machen wir gemeinsam mit externen Trainer*innen.
  1. Mit unserem Projekt Vielfalts-Check entwickeln wir ein Werkzeug, um die Vielfaltskompetenz von Organisationen auf verschiedenen Ebenen zu fördern und damit einen Beitrag zu Chancengleichheit und Teilhabe aller Mitglieder der Gesellschaft zu leisten.

Damit möglichst viele Menschen gleichberechtigt am gesellschaftlichen und beruflichen Leben teilhaben und somit die Potenziale unserer vielfältigen Gesellschaft genutzt werden können, benötigt es einen gesellschaftlichen Struktur- und Bewusstseinswandel, der durch Vielfaltskompetenz gezeichnet ist.

Organisationen müssen Vielfalt durch Bewusstsein und Repräsentation anerkennen, sowie Chancengerechtigkeit und Teilhabe für alle Mitglieder der Gesellschaft unabhängig von Herkunft, kulturellen und religiösen Unterschieden, aber auch Aspekten wie Alter, Geschlecht, Behinderung, sozio-ökonomischen Ausgangsbedingungen und sexueller Orientierung gewährleisten.
Um bestehende Barrieren und Repräsentationsdefizite abzubauen, begleiten wir Organisationen bei einem ganzheitlichen Vielfalts-Check und darin, diversitätsorientierte Organisationsentwicklungsprozesse zu durchlaufen.

  1. ACT verfolgt zwei zentrale Ziele:

Das Bewusstsein für Rassismus und rassistische Diskriminierung in Organisationen und Institutionen stärken und antirassistische Sensibilisierung vorantreiben.

Durch gezielte Maßnahmen der Antidiskriminierung, des Empowerments und der diversitätssensiblen interkulturellen Öffnung in Organisationen und Institutionen einen Raum für mehr Anerkennung, Chancengerechtigkeit und Teilhabe (ACT) junger Menschen mit Rassismuserfahrung schaffen und fördern.

Der Innovationsgehalt des Modellprojekts besteht darin, Organisationen und staatliche Institutionen als Demokratiemotor für eine plurale Einwanderungsgesellschaft zu begreifen und diesbezüglich durch ganzheitliche Konzepte, die Maßnahmen der antirassistischen Sensibilisierung, der diversitätssensiblen interkulturellen Öffnung und des Empowerments umfassen, weiterzuentwickeln.

Deutschland Einwanderungsland wider Willen.

Gemäß aktueller Zahlen vom Statistischem Bundesamt leben derzeit 23,6 % Menschen mit Migrationsgeschichte (zu dem Begriff können wir uns gerne später noch eingehender unterhalten) in der Bundesrepublik.

Menschen mit sog. Migrationshintergrund im Alter von 25 bis 65 Jahren sind dabei häufiger erwerbslos als jene ohne (6,6% gegenüber 3,2% aller Erwerbspersonen) oder gehen ausschließlich einer geringfügigen Beschäftigung nach, z.B. einem Minijob (9,7% gegenüber 5,9% aller Erwerbstätigen). Erwerbstätige mit Migrationshintergrund sind fast doppelt so häufig als Arbeiterinnen und Arbeiter tätig wie Erwerbstätige ohne Migrationshintergrund (30,1% gegenüber 15,7%). Angestellte und Beamte sind unter ihnen entsprechend seltener.

Fraglos leben wir in einer Einwanderungsgesellschaft. Deutschland tut sich nur sehr schwer damit, dies auch in die Rechtsrealität umzusetzen.

Aber wenn ich mir anschaue, wie lange die Bundesrepublik auch gebraucht hat, um internationale Konventionen zur Stärkung der Rechte der Frauen umzusetzen, ich denke da an die Istanbul Konvention (da hat Dtld. als eines der letzten EU-Länder, die Vereinbarungen auch endlich mal ins deutsche Recht umgesetzt) überrascht es also nicht, dass hierzulande solche Gleichberechtigungsprozesse zögerlich verlaufen.

Das erklärt derartige Fakten.

Fakt ist, die Einwanderungssituation in Dtld. hat noch keine einheitliche Einkehr ins Recht gefunden. Das heißt nicht, dass nicht zahlreiche neue Rechtsvorschriften in den einschlägigen Bereichen geschaffen wurden. Wurden sie. Das hat dann eben dazu geführt, dass ein Flickenteppich an Vorschriften entstanden ist, durch die niemand mehr durchblickt. Weder die Ämter, das erlebe ich meiner Tätigkeit als Rechtsanwältin. Am allerwenigsten jedoch die Betroffenen selbst.

Hier käme eine unserer zentralen Forderungen bei DeutschPlus, nämlich die Einführung eines Einwanderungsgesetzes, ins Spiel.

Vorteile: Rechtsklarheit für Betroffene. Auch aus dem Ausland heraus. Bessere Vorbereitung einer Einwanderung.

Derzeit hängt zu viel vom Gutdünken, also sog. Ermessenspielraum der Behörden ab. Diesen Spielraum im Recht nutzen die Behörden und leider auch Gerichte dann meist dazu, migrationsunfreundliche Entscheidungen zu fällen.

Noch heikler wird es, wenn wir uns die Entwicklungen dieser Woche nochmal Revue passieren lassen.

Vergangenen Mittwoch war ich bei der Vorstellung der aktuellen Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig.

Das Buch können Sie kostenfrei bei der Böll Stiftung bestellen oder aber als .pdf runterladen.

Die ForscherInnen beobachten seit 2002 die Einstellungen der Deutschen zum Rechtsextremismus, bislang bekannt unter dem Namen „Mitte-Studien der Universität Leipzig“. Sie erscheint alle zwei Jahre, nun unter dem Namen „Leipziger-Autoritarismus-Studie“.

Für die  über 300 Seiten lange repräsentative Studie wurden zwischen Mai und Juli dieses Jahres über 2.400 Menschen in Deutschland (West: 1918, Ost: 498) zu ihren Einstellungen interviewt.

Zentrale Ergebnisse dieses Jahr:

Ausländerfeindlichkeit, so die Studie, nimmt seit 2016 wieder zu. Sie erreicht aber nicht das hohe Niveau von 2012, das mit der damaligen schlechten Wirtschaftslage erklärt wird. Die Ergebnisse zeigen weiter, dass antisemitische Einstellungen insgesamt leicht rückläufig sind, aber Menschen mit solchen Einstellungen eher bereit sind, Gewalt anzuwenden. (Wenn man dann hier die wissenschaftliche Darlegung beachtet und dann sieht, wie zwei Gerichte gestern eine Demonstration des rechten Bündnisses „Wir für Deutschland“ erlaubt, dann wirft das natürlich Diskussionsbedarf auf.)

Als Einflussfaktoren für solche Einstellungen gelten unter anderem Autoritarismus. Das bedeutet, so die MacherInnen der Studie, dass „Personen, die selber eine hohe Unterwerfungsbereitschaft unter Autorität haben, diejenigen sind, die tatsächlich auch am stärksten die rechtsextreme Einstellung zeigen. Daneben sind wichtige Einflussfaktoren die Nähe zu Verschwörungstheorien sowie das Gefühl, als BürgerIn oder Person nicht anerkannt zu werden und staatlichen Institutionen hilflos gegenüber zu stehen.

Der Unterschied zwischen Ost und West ist laut Studie nur insofern relevant, als dass sich die Bevölkerung in Einkommen und Bildung unterscheidet. Oliver Decker sagt dazu: “ Interessanterweise sind es nicht die Menschen, denen es schlecht geht – ganz klarer Befund –, sondern diejenigen, die etwas die Befürchtung haben, dass es nächstes Jahr schlechter sein könnte.“

Ich komme also mit diesen Hard Facts zu der weiteren zentralen Frage heute, nämlich:

In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?

Wie kommen unsere Perspektiven auch zur Geltung?

Wir haben Anfang letzten Jahres im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung in einer ExpertInnenkommission ein sog. Leitbild (als Gegenbegriff zur Leitkultur) für eine Einwanderungsgesellschaft entwickelt. Es wurde gemeinsam mit uns und der damaligen Integrationsbeauftragte des Bundes, Frau Özoguz, in der Bundespressekonferenz vorgestellt.

Auch beim Integrationsgipfel mit der Bundeskanzlerin haben wir diese Punkte in einem Impulspapier festgehalten.

Ich werde heute nicht die gesamte Broschüre vorstellen können, aber online finden Sie auch dieses Dokument frei zugänglich. Es umfasst 27 Seiten.

Kernaussagen sind dabei:

  • Ein Leitbild für die Einwanderungsgesellschaft
  • Einwanderungsgesetz für eine kohärente Migrationspolitik
  • neues Staatsziel ins Grundgesetz, das festlegt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und Vielfalt fördert
  • Migrant*innenquote (positive Maßnahmen)
  • Bundespartizipationsgesetz

Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der die Politik, die Wissenschaft, rechtsprechende Körper, Kultur und Wissenschaft die Gesellschaft widerspiegelt, ein reales Abbild der Gesellschaft ist und eben kein Elfenbeinturm, zu dem nur ein bestimmter Teil Zugang erhält (und der bestimmte Teil sind dann in den seltensten Fällen Menschen aus Einwandererfamilien).

Wir wollen gleichzeitig aber auch nicht immer und immer wieder nur auf den Migrationshinter/-vordergrund reduziert werden, als Spruchkörper nur für diesen Bereich eingesetzt werden. Wir haben viel mehr als das zu bieten. Auch wenn das ein wichtiger Aspekt sein mag.

Ich würde jetzt gern abschließend noch ein kleines Filmelement zeigen, das wir gemeinsam mit Hyperbole jetzt gerade im Sommer herausgebracht haben. Dann kommen noch ein paar mehr Perspektiven zu Wort als meine. Ich stehe aber gerne hiernach noch in der Podiumsdiskussion Rede und Antwort.

Vielen Dank!

Gezeigtes Video unter: https://www.youtube.com/watch?v=0yoH0NUj_uI

v.l.n.r.:
Petra Gargiso (Moderation),
Belit Onay, MdL (innen- und migrationspolitischer Sprecher B´90/Die Grünen)
Christoph Eilers, MdL (Beauftragter für Integrationspolitik CDU-Fraktion)
Armaghan Naghipour (stv. Vorsitzende des VereinsDeutschPlus e.V.)
Djenabou Diallo-Hartmann (Referentin der Geschäftsführung von amfn e.V.)

Die Diskussion liegt nur als Videodokument vor.

Videodokumentation der Vorträge

Impressionen der Landesweiten Konferenz